Montag, 6. Juni 2016

"Outcast": Das Horror-Genre erhascht einen Lichtblick - und was für einen! | Staffel: 1

US / 2016 / 10 Episoden á 50 Minuten / FSK: 16 / Genre: Mystery, Horror / Bildrechte bei: FOX
Stellen Sie sich vor, Sie sehen sich gerade den Piloten einer neuen Horror-Serie. Guter Horror ist heutzutage schwer zu finden, deswegen sind Sie zu Recht skeptisch. Nun sehen Sie dort aber einen kleinen Jungen, der gebannt auf die Kakerlake an der Wand vor sich starrt, sie mit seinem zarten Kopf gezielt zerquetscht und den Haufen Blutbrei anschließend genüsslich in seinen Mund schiebt. Kurz darauf knabbert er auch noch an seinem zierlichen Finger. Äußerst energisch, versteht sich. Ein Einstieg, der die Dinnerpläne für später erst einmal auf Eis legt und realisieren lässt, dass mit "Outcast" die Suche nach dem nächsten Horror-Gral vorerst beendet sein könnte.

Nachdem einem der Magen mit dieser Eingangssequenz bereits binnen kürzester Zeit um 180 Grad verdreht wird, boxt Ideengeber Robert Kirkman ihn mit einem "Da-hilft-nicht-mal-mehr-die-stille-Treppe"-Jungen und gruseligen Flashbacks, die einer durchdrehenden "The Ring"-Mutti innewohnen, noch ein paar mal quer durch den Raum. Der "Walking Dead"-Schöpfer kennt somit zu Beginn und in jeder sich anbietenden Szene absolut keine Gnade - und das ist gut so. Denn worauf sie sich bei einer Kirkman-Serie einzulassen hat, sollte sich in der breiten Masse nach seinem Zombie-Mega-Hit inzwischen herumgesprochen haben: Auf Szenen, bei denen selbst erfahrene Chirurgen und hartgesottene Biker so manches Mal an ihre Grenzen gehen müssen. Doch mindestens genauso wichtig wie ein stimmiger Gore-Anteil ist der Fakt, dass Kirkman die Tür zu einer richtig spannenden Geschichte geschmeidig geöffnet hat. Denn Blut zu erzeugen ist das Eine - das gekonnt zu inszenieren, gilt als besondere Kunst.



Und die vermag der prestigeträchtige und schwer respektierte Comic-Autor zu besitzen. Dennoch muss sich die Serie, die gerade in den USA auf Cinemax Premiere feierte und von dieser Woche an hierzulande zunächst beim Pay-TV-Sender Fox laufen wird, zumindest im ersten Moment den Vergleich mit "The Walking Dead" gefallen lassen. Es ist nunmal auf ein neues eine Comicadaption von dem gleichen Drehbuchautoren - und abermals eine düstere Mystengeschichte. Doch wo es bei "The Walking Dead" zu einer Auflösung der gesellschaftlichen Strukturen und den dadurch entstehenden Auswirkungen auf den Menschen geht, behandelt "Outcast" eine persönliche Odysee, in deren Zentrum wortwörtlich die eigenen Dämonen stehen. Diese Dämonen gehören zu Kyle Barnes (Patrick Fugit), der sich seit seiner Kindheit mit ihnen arrangieren muss und als Erwachsener an dem verzweifelten Punkt angekommen ist, Antworten finden zu wollen. Während "The Walking Dead" also Hollywood-Action bietet, kommt "Outcast" viel intimer, viel charakterbezogener daher. Die beiden Comics haben neben der ein oder anderen Ekelszene somit nicht allzu viel gemein.

Und das ist das wirklich Schöne an "Outcast". Denn obwohl die Serie in einer Welt voller böser Geister und Besessener spielt, in der es gerne mal blutig und gewalttätig wird, haben die Macher der Serie Talent dafür bewiesen, Spannung mit Subtilität zu kombinieren. Das fängt mit dem Intro an, das mit den von Atticus Ross (oscarprämiert für "The Social Network") komponierten tiefen, markerschütternden Bässen an den Videospielalptraum "Silent Hill" erinnert, und zieht sich mit Fugits Figur durch die komplette Geschichte. Kyle besitzt nämlich einen ungewohnt zurückhaltenden Charakter, der im Ansturm des ganzen Übernatürlichen mit seiner stillen Art einen stimmigen Ruhepol ins Geschehen bringt.


Hinzu kommt sein idealer Mitspieler - Reverend Anderson (Philip Glenister), den man in seiner ersten Szene mit zwei Cops im Hinterzimmer Poker spielen und Bier trinken sieht. Dass das der Mann ist, der Kyle bei seiner Suche nach Antworten und Exorzismen unterstützen soll, ist deswegen erstmal einen Zweifler wert. Doch sein erster an Charlie Harper erinnernder Eindruck verfliegt genau dann, wenn es an die Arbeit der Dämonenbeseitigung geht. Nach Feierabend wirkt er jedoch wieder alles andere als ein Heiliger. Damit haben wir zwei gebrochene, ja sogar zutiefst kaputte Menschen, die neben der Entdeckung, dass das Ende der Welt in ganz naher Zukunft und in ihren Händen liegen könnte, auch mit sich selbst zu kämpfen haben. "Outcast" geht somit stellenweise ganz schmiegsam in eine mitfühlende Tragödie über, in der die Protagonisten vor allem aus ihrer tief gebuddelten Einsamkeit entkommen wollen. Dieses Charakterkonstrukt macht "Outcast" in seiner Gesamtheit so schön authentisch – trotz des Exorzismus-Klischees.

Dadurch macht man alles richtig, was in der einstigen Horrorhoffnung "American Horror Story" zu jeder Zeit störte. Dort waren es die zentrumssuchenden und überladenen Charaktere, die in ihrer sowieso schon hektischen Story den Tod des emotionalen Zuganges zum Zuschauer besiegelten und somit auch die Dramatik verbauten. Bei "Outcast" fühlte ich mich jedoch wie mein 8-jähriges Ich, das sich heimlich zum ersten Mal eine Folge "Akte X" angeschaut hat und direkt mit Scully und Mulder mitfieberte. Nur, dass Kirkman und Showrunner Chris Black dem Serien-Zeitalter entsprechend keine Tabus mehr kennen. Sie machen es dem Zuschauer teilweise unfassbar schwer mit anzuschauen, was da gerade auf dem Bildschirm passiert - ganz gleich, ob das nun am immensen Gruselfaktor oder an den höchst emotionalen Momente liegen mag, die sich durch die Serie ziehen. Genau das macht "Outcast" aber schon jetzt zum Hit. Bleibt zu hoffen, dass das möglichst viele Horror-Fans genauso sehen.

9.0/10

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