Donnerstag, 6. Oktober 2016

"Luke Cage": Der Held, den die Welt gebraucht hat

2016 / US / FSK: 16 / Laufzeit: ca. 50 á 13 Episoden / Genre: Action, Drama
Ob  die Avengers, Spider-Man, Batman, die Fantastischen Vier, Doctor Strange oder auch die bereits in eine Netflix-Serie gepackten Helden Jessica Jones und Daredevil - New York City ist die Heimat für allerhand übernatürliche und besonders begabte Charaktere. Mit zur Aufzählung gehört auch Luke Cage, der durch ein sabotiertes Experiment eine unfassbare Stärke und undurchdringbare Haut entwickelt hat. So weit so typischer Superheldenplot. Doch "Luke Cage" und seine von Netflix erstmals in Live-Action verfilmte Geschichte ist so viel mehr.

Nicht nur, dass erstmals ein schwarzer Superheld die Geschichte prägt. Cage lebt in Harlem, einem der Hauptzentren der afro-amerikanischen Kultur und holt das als prestigeträchtig verkannte Superhelden-Dasein auf ein dermaßen bodenständiges und auch deprimierendes Level runter, dass in erster Linie ein Drama entsteht - und kein "Kawumm", "Bam!" oder "Ka-Pow". Die in der Netflix-Serie "Luke Cage" erzählte Geschichte fühlt sich echt an. Klar, er ist zwar stärker und kugelsicherer als der Otto-Normal-Bürger, hat aber die gleichen Probleme wie wir.

Nach dem Tod seiner Frau weiß er nicht mehr, wie es ist, glücklich zu sein und begräbt sich und seine Traurigkeit in Arbeit. In zwei Jobs, genauer gesagt. In einem ist er Tellerwäscher in einem protzigen Club, der dem bekannten Verbrecherboss Cornell Stokes (noch besser als in "House of Cards": Mahershala Ali) gehört. Stokes hat die Angewohnheit sehr launisch zu sein und zeigt dies vor allem, wenn ihn die Leute bei seinem Spitznamen aus der Kindheit nennen - Cottonmouth. 

Cage kehrt jedoch auch die Haare zusammen in einem Friseur-Salon in Harlem. Der Laden gehört Pops (Frankie Faison), einem ehemaligen Gangster, der sich nun darum bemüht, die Nachbarskinder vor all den Fehlern zu bewahren, die er einst selbst begangen hat. Einer dieser Fehler war unter anderem eine gemeinsame Vergangenheit mit Stokes. So unterschiedlich die Welten von Stokes und Pops nun aber auch sind, in denen sich Cage befindet, zeigt er in keiner von ihnen jegliche Ambitionen, sich neben seinen Arbeitsaufgaben in sie einzubringen.Er möchte mit nichts und niemandem zu tun haben, schaut selbst bei den schlimmsten Begebenheiten in Stokes Club in die andere Richtung und gibt sich voll und ganz seinem Selbstmitleid hin. Seine Superkräfte sieht er lediglich als Last. Doch wird es zu dem Zeitpunkt kommen, an dem er sie für eine Seite nutzen wird. 


Wann genau dies geschieht ist aber eigentlich egal. Denn Serienschöpfer Cheo Hodari Coker schafft es mit ungleicher Hingabe seine Charaktere so fein vorzustellen und zu entwickeln, dass eine Unterbrechnung durch einen Haufen Comic-Zeugs die Gefahr birgt, diese tolle Dramaturgie zu brechen. Cage-Darsteller Mike Colter ("Good Wife") ist aber genauso mächtig wie seine Rolle und lässt jeglichen Anflug eines nicht so positiven Gedankens sofort wieder in weite Ferne treiben.

Denn egal was passiert - Luke Cage bleibt immer der Fokus in "Luke Cage". Was logisch klingt, wird in vielen Superheldenverfilmungen jedoch gerne mit Effekten und CGI versucht zu kaschieren. Hier sind sie nur das Sahnehäubchen auf einer außerordentlichen dramatischen Erzählung und schauspielerischen Leistungen, die im Serienformat ihresgleichen suchen.

Dass Cage jederzeit das Augenmerk bleibt, ist der Knackpunkt dieser Serie. Bereits sein Besuch bei "Marvel's Jessica Jones" hat angedeutet, wie viel Dimensionen und tiefe psychische Probleme seine Figur hat und wo Batman oder Iron Man ein unverschämt gigantisches Vermögen zur Kompensierung dieser besitzen, bleibt Cage lediglich seine innere Leere. Eine verständliche Leere, die ihn zum vielleicht nahbarsten Helden im Marvel-Universum macht. Im Zusammenspiel mit Colters Ausnahmeleistung und grenzenloser "Badassigkeit", nimmt man Cage sogar dämliche One-Liner wie "Ich bin die Waffe" ab. Ein Spruch, den Cage sagt, als er dazu aufgefordert wurde, zum Gewehr zu greifen.

Colter selbst beschrieb die Serie als Marvels Vision von "The Wire". "The Wire" wirft einen sehr eindringlichen Blick auf das US-amerikanische Gemeinwesen und zeigt erbarmunglos, wie Realität mit Serie verbunden werden kann. Seine Worte machen Sinn: "Luke Cage" ist ein intimes Porträt der afroamerikanischen Identität, eine detailreiche Beschreibung eines Verbrechersyndikates und ein knallharter Blick auf junge Leute, die in Waffen und Drogen das schnelle Geld sehen.

Das alles macht "Luke Cage" zur besten Superheldenserie, die es bisher auf unsere Bildschirme geschafft hat. Noch wichtiger ist jedoch, dass Cage der Held ist, den die Welt derzeit wohl am meisten benötigt. Er kann nicht fliegen oder die Zeit anhalten, sondern ist "lediglich" ein starker Mensch mit undurchdringbarer Haut. Sein Innenleben trägt allerdings keine Schutzweste und das versetzt Luke Cage in eine dermaßen lebensnahe Situation, wie es sie in einer Comic-Verfilmung viel zu selten gibt. Dies und seine Schonungslosigkeit machen "Luke Cage" zu einem wahren Juwel. 

9.0/10

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